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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.01.2000
Aktenzeichen: 18 U 145/99
Rechtsgebiete: ADSP


Vorschriften:

ADSP § 8 a. F.
Transportrecht

ADSP § 8 a. F.

Ist auf einer Empfangsbestätigung ("Speditions-Übergabeschein") in der Rubrik "Anzahl" (der Colli) angegeben: "x Paletten" und in der Rubrik "Inhalt" eine größere Anzahl Kartons vermerkt, so bezieht sich die Bestätigung, die Sendung vollzählig (und im einwandfreiem Zustand) erhalten zu haben, nur auf die Anzahl der Paletten, nicht aber auf die Anzahl der Kartons.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

18 U 145/99 OLG Hamm 12 O 210/98 LG Bielefeld

Verkündet am 10. Januar 2000

Koblitz, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Tiekötter, den Richter am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Landgericht Filla

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Kläger gegen das am 04. Mai 1999 verkündete Urteil der III. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Kläger in Höhe von 32.193,47 DM.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht der mit Klage und Berufung verfolgte Schadenersatzanspruch aus abgetretenem Recht, der sich aus §§ 407 Abs. 2, 390 HGB i.V.m. § 398 BGB ergeben könnte, gegen die Beklagte nicht zu:

1.

Dabei kann dahinstehen, ob zwischen der Firma P AG, die dem Kläger ihre etwaigen Ansprüche abgetreten hat, und der Beklagten ein Speditions- oder Frachtvertrag zustande gekommen ist oder ob sich die Beklagte wegen der Vereinbarung einer festen Vergütung ohnehin wie ein Frachtführer behandeln lassen muß (§ 413 Abs. 1 HGB).

2.

Eine Haftung der Beklagten für einen etwaigen Teilverlust im Rahmen des Warentransportes wäre gegeben, wenn dieser in ihrem Gewahrsam oder dem Gewahrsam eines etwaigen Erfüllungsgehilfen eingetreten wäre. Dafür ist Voraussetzung, daß die Beklagte das Frachtgut vollständig von der Firma P AG in Empfang genommen hat. Genau das vermag auch der Senat nicht festzustellen.

3.

Die vollständige Übernahme des Frachtguts ergibt sich insbesondere nicht aus einer Quittung gemäß § 368 BGB.

a)

Unstreitig hat die Beklagte das an eine Firma L N C GmbH in Köln zu versendende Gut, welches aus in Kartons verpackten Computern und Monitoren und einem Karton mit Zubehör bestanden haben soll, bei der Firma P AG selbst abholen lassen. Mangels anderen Vortrags ist davon auszugehen, daß der damit betraute Fahrer am 12.05.1995 den Speditions-Übergabeschein (Bl. 12 d.A.), den Mitarbeiter der Firma P AG ausgefüllt hatten, unterzeichnet hat. Damit hat er mit Wirkung gegen die Beklagte eindeutig quittiert, daß er zwei mit sogenannter Stretchfolie umhüllte Europaletten mit Versandgut erhalten hat.

b)

Als nicht eindeutig erscheint es, ob sich die Quittung auch drauf bezieht, daß die Beklagte auf diesen zwei Paletten insgesamt 19 Kartons mit Computerware übernommen hat. Insoweit ist die Quittung auszulegen. Entscheidend ist dabei, wie das darin liegende Empfangsbekenntnis unter Berücksichtigung des Wortlauts, aller Begleitumstände, insbesondere des damit im Geschäftsverkehr verfolgten Zwecks und des Gesamtverhaltens der Parteien aus objektiver Sicht redlicher Weise zu verstehen ist (BGH WM 64, 906). Eine daran ausgerichtete Auslegung ergibt, daß sich die Quittung, wie wohl immer in Fällen der Entgegennahme einer Vielzahl von Einzelkartons auf Paletten gegen eine Empfangsbescheinigung im Massenverkehr, nur auf die Anzahl der Paletten und nicht auf deren Inhalt bezieht.

aa)

Schon der Wortlaut und das Erscheinungsbild des Übergabescheins zeigen, daß zwischen der Anzahl der Packstücke (zwei Europaletten) und deren Inhalt (19 Kartons mit Monitoren und Zubehör) unterschieden wird. Die Stückzahl der Kartons bedingt, daß auf den Paletten eine unterschiedliche Zahl Kartons gewesen sein muß, die sich aus der Quittung nicht ergibt. Die von der Unterschrift gedeckte eigentliche Quittung links unten auf dem Schein verhält sich über die Vollzähligkeit und den einwandfreien Zustand der Sendung. Die Vollzähligkeit kann sich begrifflich nur auf die Anzahl der Packstücke beziehen und nicht auf die Angaben zum Inhalt. Mit dem zugleich mit der Vollzähligkeit bestätigten einwandfreien Zustand kann auch nicht der aktuelle Zustand des Inhalts der Einzelkartons gemeint sein, der im Regelfall überhaupt nicht erkennbar ist. Auch dieser Begriff bezieht sich auf die mit Folie versehenen Packstücke. Die in den getrennten Rubriken Inhalt und Brutto-Gewicht erscheinenden Angaben sind vielmehr wie diejenigen zu Versender und Empfänger Individualisierungsmerkmale, auf die sich das Empfangsbekenntnis nach der Zuordnung nicht bezieht.

bb)

Nichts anderes ergibt sich aus den Begleitumständen, insbesondere aus dem Zweck der Quittung und der Interessenlage der Parteien.

aaa)

Für den Fall, daß die Packstücke überhaupt nicht einsichtig wären, bezöge sich die Bestätigung der Vollständigkeit sicher nicht auf den Inhalt, denn es ist absolut unüblich, solche Behältnisse bei der Übernahme zu öffnen und zwecks Feststellung des Inhalts zu entleeren.

bbb)

Gerade nach dem Zweck einer solchen Quittung im Geschäftsverkehr kann dann bei einer Vielzahl von Einzelkartons nichts anderes gelten, wenn die Verpackung etwa mit Folie so durchsichtig ist, daß sie es zulassen würde, die Anzahl darauf gestapelter Einzelstücke von außen festzustellen. Selbst wenn unterstellt wird, daß die im vorliegenden Fall verwandte Stretchfolie hinreichend durchsichtig gewesen wäre und es auch die Zahl und Größe der Kartons als möglich erscheinen ließ, daß die Anzahl der auf den Paletten befindlichen Pakete durchgezählt werden konnte, so hätte das schon einige Mühe bereitet. Denn der Fahrer hätte um die Paletten herumgehen und wenigstens von zwei Seiten nachsehen müssen, um die Gesamtzahl der Kartons auf einer Palette feststellen zu können. Er hätte die beiden Gesamtzahlen dann noch addieren müssen. Ob das aus der Sicht der Parteien zumutbar war, erscheint zweifelhaft. Im übrigen würde eine Differenzierung nach der Art der Verpackung zu dem Ergebnis führen, daß die formularmäßigen, für das Massengeschäft gedachten Übergabequittungen ganz unterschiedlich bezüglich ihres Erklärungswillens auszulegen wären. Das ist nicht der Sinn eines solchen Schriftstücks, welches Klarheit schaffen, aber nicht zu einer ziemlichen Rechtsunsicherheit führen soll, weil geprüft werden müßte, wie gut oder schlecht der jeweilige Fahrer auch unter den örtlichen Bedingungen den Inhalt eines Packstückes feststellen konnte. Schließlich entspricht es auch erkennbar nicht der Interessenlage des Spediteurs, der die Ware empfängt, daß es zur Sache des Fahrers wird, im Einzelfall zu entscheiden, ob es zumutbar ist, die zu einem Pachtstück zusammengefaßten Einzelstücke zu zählen.

ccc)

Bei der Bewertung der Tragweite der erteilten Quittungen spielen schließlich auch die allgemeinen Usancen im Speditionsbereich eine Rolle. In diesem Zusammenhang ist § 8 ADSP zu beachten, wonach (Buchstabe a) S. 2) der Spediteur nur Anzahl und Art der Packstücke, nicht aber deren Inhalt zu bestätigen braucht. Wenn dann in einem Übergabeschein formularmäßig eine Rubrik für den Inhalt der Packstücke vorgesehen ist, kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Spediteur, wenn der Versender dort eine Anzahl von Einheiten einträgt, die Übernahme auch des Inhalts bestätigen will, obwohl er das oft in zumutbarer Weise gar nicht kann.

ddd)

Die Parteien des Speditionsauftrages hatten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die rechtliche Problematik erkannt, die mit der Unterzeichnung der durch die Firma P AG ausgefüllten Übergabescheine verbunden war. Die bei der Firma P AG übliche Art und Weise der Verpackung, nämlich die Verschweißung, von Computern auf Paletten, die anschließend mit einem farbigen oder schwarzen Sicherungsband abgeklebt wurden, ließ nämlich selbst nach der Einschätzung des damals bei dieser Firma beschäftigten Zeugen L eine Überprüfung der Zahl der eingebundenen Kartons nur sehr eingeschränkt zu. Dies führte dazu, daß die Beklagte mehrfach maßgeblichen Mitarbeitern der Firma P AG gegenüber darauf hingewiesen hat, daß sie gerade wegen dieser Art der Verpackung die Prüfung auf die Anzahl der Paletten beschränken und keine weitergehende Art der Haftung für den Inhalt übernehmen wollte, auch wenn dieser schriftlich festgehalten werde. Das dahingehende Interesse der Beklagten ist auch von dem Beschäftigten der Firma P AG als berechtigt anerkannt worden, auch wenn es zu keiner ausdrücklichen Vereinbarung kam, die auch nicht als so dringlich angesehen wurde, solange es nicht zu Schäden kam. Immerhin ist die Problematik im Besuchsbericht vom 30.11.1992 schriftlich festgehalten. Damit war jedenfalls nach der Interessenlage für die Firma P AG klar, daß die Beklagte generell mit der Unterschrift auf dem Speditionsübergabeschein keine Quittung über den Inhalt der bestätigten Anzahl der Packstücke ausstellen wollte. Sie konnte deshalb auch nicht annehmen, daß der jeweilige Fahrer etwas anderes erklärte, wenn keine ausdrückliche Zählkontrolle in Bezug auf den Inhalt der Paletten stattgefunden hatte.

4.

Der Kläger hat den Beweis des vollständigen Empfangs des Frachtbriefes auch nicht auf andere Weise geführt.

a)

Allein die Aussagen der Zeugen W und S reichen nicht aus, um die Überzeugung des Senats herbeizuführen, daß die Ware vollständig übergeben wurde. Es kann dabei unterstellt werden, daß der Zeuge W entsprechend den kaufvertraglichen Verpflichtungen die zu übereignenden Waren herausgesucht und auf zwei Paletten gestapelt hat. Der Zeuge S mag das auch kontrolliert haben. Bei der Organisation der Versendung von Waren durch die Firma P AG zur damaligen Zeit war dadurch allein aber weder sichergestellt, daß die herausgesuchten Waren auch so eingeschweißt wurden, noch war gewährleistet, daß diese so zum Versand kamen. Es gab keine durchgängigen Ausgangskontrollen, wenn teilweise oder sogar überwiegend Aushilfskräften überlassen wurde, die Waren einzubinden und zum Versand bereitzustellen. Das hat das Landgericht Köln schon im Vorprozeß so gesehen. Die Beweisaufnahme vor dem Landgericht Bielefeld hat dazu keine entscheidenden anderen Gesichtspunkte ergeben.

b)

Der Beweis kann auch nicht im Wege des Indizienbeweises geführt werden. Es ist schon sehr fraglich, ob die vom Kläger in diesem Zusammenhang allein angeführte Tatsache, daß die zwei Europaletten nicht in dem Zustand bei der Empfängerin angeliefert worden sein sollen, wie sie von der Beklagten übernommen wurden, einen Schluß darauf zulassen würde, daß die Beklagte die auf dem Übergabeschein bezeichnete Anzahl der Kartons vollständig erhalten hat. Auch diese Hilfstatsache ist aber nicht bewiesen. Der Zeuge D hat auf der Rollkarte bestätigt, daß die zwei Europaletten in einwandfreiem Zustand bei der Empfängerin angekommen sind (Bl. 13 BA). Soweit er im Strafverfahren und im Vorprozeß vor dem LG Köln erklärt hat, daß das von der Firma P angelegte Sicherheitsband und die Plastiktaschen mit den Lieferscheinen gefehlt haben sollten, hat der Zeuge Sch bekundet, daß er diese Teile kurz vorher entfernt habe. Er hat sie im Strafverfahren auch vorgelegt. Selbst wenn Verdachtsmomente bleiben, daß der Zeuge Sch einen Teil des Gutes entwendet haben könnte, läßt sich eine sichere Feststellung dazu nach dem Inhalt der Vorverfahren gerade nicht treffen.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Ende der Entscheidung

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